Luis auf Schanzen-Tournee: beim Damen-Weltcup in Oberstdorf - Premieren über Premieren
am 13.01.2017
Anders als in der vergangenen Saison ließ die erste Skisprungreise für unseren Kolumnisten Luis Holuch nicht bis zum Saisonfinale auf sich warten. Am ersten Januar-Wochenende gastierte er beim Weltcup der Damen in der Oberstdorfer Erdinger-Arena. Im ersten von zwei Teilen berichtet er von seinen sportlichen Eindrücken und zieht gemeinsam mit einigen Gesprächspartnern Bilanz zum Großschanzen-Wochenende der Damen. Wir wünschen viel Spaß bei der Lektüre!
Luis auf Schanzen-Tourneevon Skisprungschanzen-Archiv-Autor und -Fotograf Luis Holuch |
Dass das erste Weltcup-Wochenende 2017 bei den Damen ein historisches werden würde, stand schon seit der FIS-Herbstsitzung fest. Dort wurde nämlich bekanntgegeben, dass die Springen in Oberstdorf auf der Großschanze HS 137 stattfinden würden. Die Entscheidung, so erzählte mir der neue Medienkoordinator der FIS für das Damen-Skispringen, Sascha Brand, sei vornehmlich durch den Termin zustande gekommen. „Es wäre für den Skiclub nahezu unmöglich gewesen, nach dem Vierschanzentournee-Auftakt innerhalb einer Woche zusätzlich zur Groß- noch die Normalschanze zu präparieren“, sagte Brand am Sonntag nach dem zweiten Einzelspringen.
Über die Hintergründe hatte ich mir bis zur Ankunft in Oberstdorf allerdings nicht wirklich den Kopf zerbrochen. Ganz im Gegenteil: ich war einfach froh nach einer kompletten Saison, bei der ich bei den Damen nicht vor Ort war, wieder dabei zu sein und freute mich auf die Weitenjagd. Genauso wie die Damen natürlich auch, von denen einige in erster Linie ihren persönlichen Rekord nach oben schrauben wollten. Am Ende standen 26 Verbesserungen von 16 verschiedenen Springerinnen zu Buche – eine bemerkenswerte Zahl angesichts der teils sehr schwierigen Bedingungen, denen sich die Skispringerinnen ausgesetzt sahen. Am Samstag waren es vor allem wechselnde Windrichtungen, die allen Akteuren zu schaffen machten. Doch Lokalmatadorin Katharina Althaus nahm es gelassen zur Kenntnis und sprach für ihre Kolleginnen: „Es war wirklich nicht einfach für die Jury. Aber man kann ihr da absolut keinen Vorwurf machen.“
Olympiasiegerin Carina Vogt ergänzte: „Natürlich wäre ich heute auch lieber 130 als 117 Meter gesprungen, aber bei den Bedingungen war es für alle enorm schwierig, unser gesamtes Potenzial zu zeigen.“ Nur eine ließ sich abermals von nichts und niemandem aufhalten: Sara Takanashi. Die Japanerin fuhr in Oberstdorf ihre Weltcupsiege 48 und 49 ein und kann – passenderweise – das sprichwörtliche Pfund in ihrer Heimat Sapporo perfekt machen. Mittlerweile sind alle Teilnehmerinnen dort angekommen und bestritten schon heute Nacht um 4:30 Uhr (MEZ) die Qualifikation. Doch weiter mit dem Rückblick auf das historische erste Weltcupwochenende der Damen mit zwei Großschanzenspringen…
Dass dies, wie im ZDF behauptet, „ein Experiment“ sei, stimmt so nur zum Teil, aus folgenden Gründen: der Termin war ein Experiment. Die große Schattenbergschanze wäre ohnehin präpariert gewesen und man hatte vor, die Wettkampfpause der Damen von vier auf drei Wochen zu verkürzen. Der vorläufige Kalender für 2017/2018 sieht exakt dieselbe Planung vor – zumindest in Bezug auf die Terminplanung. Die Großschanze per se ist schon lange kein Experiment mehr. Schließlich springen Skispringerinnen schon seit 2004 von der Großschanze und haben mittlerweile 25 (Stand: Veröffentlichung dieses Artikels) solcher Springen angesammelt. Ganz die Wünsche und Hoffnungen der Skispringerinnen erfüllt diese Entwicklung jedoch nicht, wie einige Athletinnen äußerten.
„Ich verstehe nicht, dass wir immer noch so wenige Wettkämpfe auf den Großschanzen haben. Man muss ja auch mal diese Seite sehen: wenn wir mehr Großschanzenspringen haben, wird auch mehr auf der Großschanze trainiert und das Niveau steigt. Das tut es eben nicht, wenn immer nur die besten 30 zum Finale nach Oslo fahren. Ich würde mir wünschen, dass die FIS hier ansetzt und weitermacht und uns auf mehr Großschanzen lässt. Wir haben hier in Oberstdorf bewiesen, dass wir das draufhaben – es war zu keinem Zeitpunkt gefährlich“, ließ sich Carina Vogt für ihre Verhältnisse ungewöhnlich tief in die Seele blicken. Doch ihr Bundestrainer Andreas Bauer gab ihr Recht, indem er sagte: „ich stimme voll und ganz in den Tenor der Mädels ein. Die Großschanzen werden unsere Zukunft sein und sie haben alle gezeigt, dass sie diese Schanzen beherrschen.“
Der Austausch mit den Athletinnen ließ mehr als nur erahnen, dass sie sich mehr Fortschritte wünschen. Einige von ihnen ergreifen in dem Ganzen sogar eine Vorreiterrolle und werden visionär. So beispielsweise Sarah Hendrickson. Die US-Amerikanerin ist nicht nur wegen ihres Sponsors, sondern vor allem wegen ihrer herausragenden Flugfähigkeiten und Erfolgen wie dem Gesamtweltcupsieg 2011/2012 und dem Weltmeistertitel 2013 ein Star des Damen-Skispringens. Sie plädierte für eine ganzheitliche Konzeption: „Dass wir hier zwei weitere Springen auf der Großschanze haben, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. In meinen Augen wäre es gut, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Groß- und Normalschanzen herzustellen und die Anzahl der Wettkämpfe verteilt auf beide Schanzentypen in den nächsten Jahren anzugleichen. Zudem sollte man den Continental Cup keinesfalls vernachlässigen und gerade dort auf Normalschanzen gehen.“ Hintergrund: zum zweiten Mal in Folge fanden für die Damen lediglich zwei Continental Cup-Springen in Notodden (Norwegen), kurz vor Weihnachten, statt.
Es ist absolut bemerkenswert, welchen Weitblick Sarah Hendrickson an den Tag legt. Denn, sie hat mit der großen Schattenbergschanze ihre ganz eigene Geschichte. Im August 2014 absolvierte sie mit der US-Nationalmannschaft ein Trainingscamp in Oberstdorf und trainierte auch auf der Großschanze. Dort erwischte sie einen Sprung so perfekt, dass sie auf 148 Meter segelte. Ihr Knie konnte dem Landedruck nicht standhalten, sie stürzte und riss sich das Kreuzband. Von diesem Sprung existiert nur ein siebensekündiger Clip, der lediglich zeigt, wie perfekt Sarah ihr Absprung und der Übergang in den Flug gelingt. Der Aufprall auf die Matten und alle weiteren Folgen ist nur den Personen bekannt, die vor Ort waren. Über drei Jahre nach diesem Zwischenfall und einen weiteren Kreuzbandriss und fünf Operationen später, ist sie wieder hier.
„Wie du siehst, bin ich doch etwas nervös. Aber ich muss das hier durchziehen, um meine Reise zurück zu mir selbst fortzusetzen. Und es ist gut, dass ich mit dem, was mir hier vor drei Jahren passiert ist und mein Leben verändert hat, abschließen kann. Für mich war die mentale Seite schon immer härter als die physische, weil ich sie nicht wirklich steuern kann“, erzählte sie mir am Freitag nach der Qualifikation. Es waren ihre ersten drei Sprünge auf dieser Schanze seit dem Unfall und ihre ersten Sprünge auf einer Großschanze seit dem Saisonfinale in Oslo 2015. Die vergangene Saison 2015/2016 verpasste sie abermals wegen eines Kreuzbandrisses. Doch sie ist eine Kämpferin und gibt alles für ihren Traum, wieder zu den Olympischen Spielen zu fahren – und zwar diesmal in Bestform.
„Natürlich merke ich, dass mein Knie viel durchmachen musste. Es ist nichts falsch, kaputt oder schmerzhaft, aber ich kann eben nicht rausgehen und acht Sprünge machen, so wie ich es eben gerne machen würde“, sagt sie mit fester Stimme. Sie wirkt gelassener als noch in ihrer letzten Saison 2014/2015 in der sie viel mit sich selbst haderte. Die Ränge neun und 16 waren nicht ganz das, was sie sich erhofft hatte, grundsätzlich sei sie aber mit ihren Ergebnissen einverstanden. Und als ich sie nach ihren Saisonzielen fragte, war Sarah Hendrickson schon fast wieder die Alte: „Im Gesamtweltcup möchte ich unter die besten zehn mit einem Podestplatz bis zum Saisonende und bei der WM möchte ich unter die besten sechs.“ Und wer, wenn nicht sie, kann das schaffen?
Von einer Athletin, die schon viel erlebt und durchgemacht hat, komme ich nun zu den jungen, manchmal auch wilden. Die jüngste Teilnehmerin im Feld war die Französin Lucile Morat, die mit ihren gerade einmal 15 Jahren nicht nur ihr eigenes Team ordentlich aufmischt. Zwar merkte man ihr an, dass die Großschanze für sie Neuland war, für Weltcuppunkte reichte es dennoch an diesem Wochenende. Die größte Überraschung der „Young Generation“ gelang Luisa Görlich vom WSV 08 Lauscha. Gerade frisch 18 Jahre jung geworden, sprang sie am Samstag als 15. ihr bestes Weltcupergebnis ein. „Ein absolutes Highlight für uns als Team“, wie Bundestrainer Andreas Bauer es beschrieb.
Und was darf an einem solchen Wochenende nicht fehlen? Richtig, eine Debütantin! Und auch diese Geschichte ist, wie sollte es anders sein – eine ganz spezielle. Auch für diese bleiben wir beim deutschen Team. Trotz, dass nahezu alle Springerinnen in den Lehrgangsgruppen schon „an die 100 oder sogar mehr Sprünge auf der Großschanze“ (Bauer) absolviert haben, kamen nicht alle für einen Einsatz in Frage. Obwohl, oder gerade weil der DSV durch die FIS-Regularien dazu berechtigt war, eine nationale Gruppe mit bis zu sechs Springerinnen zu stellen. „Leider haben wir mit Anna Rupprecht eine Springerin durch Verletzung verloren. Und wir sind eben kein Fußballclub, der in der Winterpause mal eben das Portemonnaie aufmacht und sich jemand neues holt. Deswegen ist ein Platz leider frei geblieben“, gab der Bundestrainer zu Protokoll.
Eine der also elf startenden Springerinnen war Nicole Hauer. Gerade einmal zwölf internationale Starts zierten bis zur Qualifikation am Freitag ihre Biografie in der FIS-Athletendatenbank. Lediglich zwei außerhalb in Deutschland. Ihr internationales Debüt gab sie 2005 in Breitenberg bei Rastbüchl, auf ihrer Heimschanze. Bis heute springt sie für den ansässigen Verein WSV DJK Rastbüchl und hatte bis zu seinem internationalen Durchbruch vor einigen Jahren sehr regelmäßigen Kontakt mit dem besten Deutschen Skispringer der letzten Jahre, Severin Freund. „Wir sind früher oft zusammen bei Wettkämpfen gewesen“, erzählte Nicole. Anders als beim Vereinskameraden schielt sie jedoch nicht auf eine große internationale Karriere, was auch mit ihrem Alter und Lebensstatus zusammenhängt. 29 Jahre und 303 Tage war sie am Qualifikationstag. „Über kurz oder lang wird es dann auch meinem Karriereende entgegengehen“, meinte sie mit niederbayrischer Nüchternheit.
ABER: „mir macht das Skispringen einfach ungeheuer Spaß und es ist einfach nur schön, dass ich hier im Weltcup debütieren konnte. Andi Bauer hat mich gefragt, ob ich mitfahren möchte und ich musste nicht lange überlegen.“ Für Bauer selbst war das Debüt eine Mischung aus besonderer Geschichte und Hauers Fähigkeiten. „Klar wird sie mit ihren 29 Jahren jetzt nicht mehr in die Weltspitze hineinspringen. Aber ich bin der Letzte, der etwas dagegen hat, dass sie hier ihren Spaß hat. Sie beherrscht die Schanze sehr gut und auch deshalb haben wir sie mitgenommen.“ Hauer selbst formulierte es etwas dezenter: „ich habe hier vielleicht zehn Sprünge gemacht und auch noch ein paar in Planica. Wenn du möchtest, kannst das Erfahrung nennen“ und lachte auf. Da sie mir die Wahl gelassen hat, würde ich sie nun auch gerne treffen: es sind genau solche Geschichten, wie die von Nicole Hauer, der bis dato ältesten Weltcup-Debütantin und das auch noch auf einer Großschanze (!), die das Damen-Skispringen bereichern und interessant machen. Und das ist auch gut so!
Das soll es aus dieser Perspektive gewesen sein. In dieser Folge sollten vor allem die eigentlichen Protagonisten und weniger ich selbst zu Wort kommen. In der nächsten Folge wird euch eine Mischform mitsamt Erlebniseindrücken erwarten, aber lasst euch auch gerne überraschen.
Bis dahin wünsche ich euch eine gute Zeit,
Euer Luis
Schanzen:
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Kommentare:
@Susan Stanton
According to calendar drafts, there might be a ski flying event in 2019 - but for men only.
Ski flying in Oberstdorf
Would you know if there will be any ski flying in Oberstdorf in 2019 please.
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